Eine zweite Mutter für mein Kind

Heute blogge ich mal was ganz anderes

Die Welt schreibt heute folgenden Artikel, den möchte ich Euch natürlich nicht vorenthalten:

Eine zweite Mutter für mein Kind – Friederike Lübke 07.02.2015 Die Welt

Viele Berufstätige sind auf Tageseltern angewiesen. Deren Zahl ist seit 2006 um 50 Prozent gestiegen

Als ihr Sohn ein Jahr alt wurde, wollte AnkeStockdreher gern wieder arbeiten. Über Freunde lernte sie eine Tagesmutter kennen. Nun verbringt ihr Sohn fünf Tage die Woche in der Nachbarschaft bei Tagesmutter Ella Müller. Wenn er beruhigt werden muss, schaut sie mit ihm ihr Aquarium an. Im Herbst gehen sie Kastanien sammeln. Er ist glücklich. Seine Mutter ist es auch. In die Kita wollte sie ihren Sohn noch nicht geben. „Ich habe gedacht: So ein kleiner Zwerg ist bei einer Tagesmutter besser aufgehoben“, sagt sie.

Das scheinen immer mehr Eltern zu denken. Die Zahl der Tagesmütter und -väter in Deutschland ist erheblich gestiegen. Im Jahr 2006 waren es etwa 30.000. Aktuell sind es fast 45.000 – eine Steigerung von fast 50 Prozent. Mehr als 43.500 sind Frauen. Dazu passt, dass auch immer mehr Kleinkinder außerhalb ihres Elternhauses betreut werden. Im Durchschnitt besuchen rund 32 Prozent der unter Dreijährigen Kita oder Tagespflege, ermittelte das Statistische Bundesamt. Zwischen Ost und West gibt es aber große Unterschiede. In Brandenburg liegt die Betreuungsquote bei rund 58 Prozent, in Baden-Württemberg und Bayern bei jeweils nur 27 Prozent. Seit 2013 haben Eltern für ihr Kind ab dem ersten Lebensjahr Rechtsanspruch auf Betreuung. Ob sie ihr Kind in die Kita bringen oder von einer Tagesmutter betreuen lassen, können sie selbst entscheiden. Die Unterschiede sind allerdings groß.

Eine Kita bietet im besten Fall eine anregende Umgebung mit vielen Spielkameraden, neuem Spielzeug und Waschräumen auf Kinderhöhe bis hin zu Musikstunde und mehrsprachigen Erziehern. Eine Tagesmutter bietet all das nicht – dafür aber Familienersatz und Nestwärme. Nur bis zu fünf Kinder darf sie gleichzeitig betreuen. Meist tut sie das in der eigenen Wohnung. Die Betreuung soll familiär sein: Die Gruppe ist kleiner, die Bezugsperson wechselt nicht. Betreuungszeiten kann man flexibler vereinbaren.

Wie viel man dafür bezahlt, hängt davon ab, wie lange das Kind betreut wird und was noch dazu kommt: Bio-Essen zum Beispiel. Laut Bundesfamilienministerium liegen die Kosten nur für die Betreuung derzeit zwischen drei und sieben Euro pro Kind und Stunde.

Da die meisten Tagesmütter selbstständig sind, gilt der neue Mindestlohn für sie nicht. Frei sind sie in der Wahl ihres Stundenlohns allerdings auch nicht. Das Jugendamt legt einen einheitlichen Tarif für einen Landkreis fest. Eine Tagesmutter in Hamburg kann teurer sein als eine in Leipzig. „Eltern entscheiden sich nicht nur nach den Kosten, sondern auch nach pädagogischen und organisatorischen Kriterien“, sagt Heiko Krause, Geschäftsführer des Bundesverbands für Kindertagespflege.

Für einige Kinder bietet sich die Tagespflege besonders an. „Für ein Kind unter drei Jahren ist die individualisierte Betreuung in der Tagespflege gut“, sagt Lieselotte Ahnert, Professorin für Entwicklungspsychologie an der Universität Wien. Sie forscht seit Jahren zu diesem Themenbereich.

Sie verpassen nicht zwangsläufig etwas, wenn sie gerade in den ersten Lebensjahren nicht in die Kita gehen. „Kinder lernen durch Imitieren. Gerade in den ersten Lebensjahren orientieren sie sich dafür vor allem an Erwachsenen“, sagt Ahnert. Auch Kinder, die aus einer kleinen Familie stammen und viele Kinder nicht gewohnt sind, oder in der Entwicklung noch etwas aufholen müssen, können bei einer Tagesmutter besser aufgehoben sein. „Für etwas ältere Kinder kann die Kita wunderbar sein, Kultur und Bildung sind in einer öffentlichen Einrichtung besser aufgehoben.“

Die richtige Tagesmutter zu finden, ist allerdings noch schwieriger, als einen guten Kita-Platz zu bekommen. Schließlich hängt hier alles von einer Person ab. Als Grundvoraussetzung braucht jede Tagesmutter eine Erlaubnis vom Jugendamt. Sie muss ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis, einen Gesundheitsnachweis sowie eine Haftpflichtversicherung für die Arbeit haben und Räume vorweisen können, in denen die Kinder gut spielen, essen und schlafen können.

Außerdem braucht jede Tagesmutter eine pädagogische Ausbildung. Zwölf Prozent der Tagespflegepersonen haben eine Erzieher-Ausbildung, so das Statistische Bundesamt. Wer keine pädagogische Erfahrung hat, muss das in der Regel mit 160 Unterrichtsstunden nachholen. Ab Sommer werden es wahrscheinlich sogar 300 Stunden werden, aktuell entsteht ein Qualifizierungshandbuch.

Bis dahin ist es allerdings noch weit: Im März vergangenen Jahres hatten noch 20 Prozent der Tageseltern noch nicht einmal die 160 Stunden absolviert. 4,6 Prozent der Tageseltern betreuten Kinder sogar ohne formale Qualifikation. Das ergab eine Antwort des Bundesfamilienministeriums auf eine Anfrage der Grünen im Bundestag. Heiko Krause, Geschäftsführer des Bundesverbands für Kindertagespflege, ist es aber wichtig, dass die Zahl der weniger Qualifizierten tendenziell sinkt. Langfristig soll Kindertagespflege ein anerkannter Lehrberuf werden.

Auch Silke Hillesheim wollte ihren Sohn gern von einer Tagesmutter betreuen lassen. Dass sie so schnell fündig wurde, kommt ihr im Nachhinein wie ein Glücksfall vor. Ein Kollege gab ihr einen Tipp. Zuerst hat sie die Tagesmutter allein besucht, dann noch einmal mit ihrem Mann: „Als ich in die Wohnung kam, konnte ich mir sofort vorstellen, meinen Sohn dort hinzubringen“, sagt sie. Die Tagesmutter sei ihr auf Anhieb sympathisch gewesen. Das war entscheidend. „Ich wusste gar nicht, worauf ich sonst hätte achten sollen“, sagt sie. Schließlich war ihr Sohn erst fünf Monate alt, als sie mit der Suche begann. Wie er sich in einem halben Jahr entwickeln würde, konnte sie noch nicht wissen.

Sicher war sie allerdings in einer anderen Sache: „Ich hätte nicht arbeiten können, wenn ich nicht gewusst hätte, dass er gut betreut wird.“ Die Tagesmutter mit ihrem Mann und Kindern ist nun für ihren Sohn zu einer zweiten Familie geworden.

Dass Kinder zu der Tagesmutter ein enges Verhältnis entwickeln, ist für manche Eltern allerdings ein Problem. „Ich kenne Eltern, die wollen genau das nicht. Das ist Typ-Sache“, sagt Silke Hillesheim. Sie empfindet es eher als positiv. „Ich bin froh, dass es so familiär ist. Emil weiß trotzdem genau, wo sein Zuhause ist“, sagt sie.

Entwicklungspsychologin Ahnert kann das nur bestätigen: „Die enge Bindung zur Tagesmutter nimmt der Mutter nichts weg. Kinder können zwischen Mutter und Tagesmutter durchaus unterscheiden“, sagt sie. „Man muss nicht eifersüchtig sein, wenn das Kind eine enge Bindung zur Tagesmutter aufbaut. Man sollte es anstreben. Denn wenn ein Kind sich wohl fühle, entwickle es immer eine enge Bindung. Und wenn sich Mutter und Tagesmutter gut verstehen, sei das für das Kind am besten.

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